Suchterkrankungen sind ein großes Problem in allen Bevölkerungsschichten. Wenn man ein Problem lösen möchte, empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Man sollte den Auslöser des Problems ausfindig machen und diesen dann konsequent bekämpfen.
Vor vielen Jahren wurde daher die Entscheidung getroffen, Drogen zu verbieten und gleichzeitig Abhängige zu bestrafen und auszugrenzen. Unsere Gesellschaft war der Meinung, dies würde vor dem weiteren Konsum abschrecken und Menschen ermutigen mit dem Drogenkonsum aufzuhören.
Diese Entscheidung wurde unter anderem durch ein Experiment untermauert. Man steckte eine Ratte in einen Käfig und gab ihr zwei Trinkflaschen: Eine enthielt Wasser und die andere zusätzlich Heroin. Es passiert, was man vermutete: Die Ratte bevorzugt fast immer die Droge und brachte sich letztlich damit selber um.
Aufgrund dieser scheinbar so eindeutigen Beweislage wurde der Kampf gegen die Drogen intensiviert.
Einige Jahre später schaute man sich den Aufbau des Experiments erneut an und stellte folgendes fest: Die Versuchsratte lebte in einem leeren Käfig, in dem sie nichts zu tun hatte, außer Drogen zu konsumieren. Daraufhin wiederholte man das Experiment, jedoch mit einer kleinen, aber entscheidenden Veränderung: Anstatt eines leeren Käfigs baute man ein „Rattenparadies“. Hier wurden den Tieren zahlreiche Möglichkeiten der Beschäftigung geboten. Es geschah etwas Faszinierendes: Im Rattenpark mochten die Ratten das Drogenwasser nicht! Sie benutzten es fast nie. Keine der Tiere benutzte es zwanghaft. Kein Tier starb an einer Überdosis.
Es muss also noch etwas anderes geben, was Menschen in eine Suchterkrankung führt! Die Vermutung liegt nahe, dass es bei der Sucht gar nicht so sehr um die Droge, sondern um den Käfig geht!
Es ist weniger die Droge das Problem, als vielmehr der elementare Mangel an Möglichkeiten der sozialen Bindung! Das menschliche Bindungsbedürfnis ist angeboren und natürlich. Wenn wir glücklich und gesund sind, dann gehen wir Bindungen ein. Doch wenn wir dies nicht können, weil wir traumatisiert, einsam oder vom Schicksal gebeutelt sind, dann bindet man sich an etwas, das Erleichterung verschafft: Glückspiel, Pornographie, Heroin, Cannabis oder Alkohol.
Die skizzierten Forschungsergebnisse, sowie meine Erfahrung aus dem Arbeitsalltag, zwingen zu folgendem Schuss:
Wir müssen aufhören, Menschen mit Suchterkrankungen zu bestrafen und zu erniedrigen, ihnen Vorstrafen zu geben und ihre Wiedereingliederung zu behindern. Denn mit diesem System tragen wir einzig und allein zur Eskalation bei.
Es ist an der Zeit, Denken und Handeln entsprechend zu revidieren. Mittel, die bisher für Repression und Isolierung Süchtiger verwendet wurden, sollten zukünftig für die Wiedereingliederung in unsere Gesellschaft Verwendung finden. Suchtmittelabhängige benötigen mehr als eine gute Beratung und Rehabilitationsbehandlung, sie benötigen ehrlich gemeinte Integration in allen Lebensbereichen. Es braucht Bedingungen, damit Menschen wieder mit unserer Gesellschaft in Verbindung treten.
In einer Lebenskrise merkt man deutlich, dass weder von Twitter-Anhängern noch von Facebook-Freunden Beistand kommt, sondern einzig und allein von den Freunden aus Fleisch und Blut, zu denen man eine tiefe, ausgeprägte, persönliche Bindung hat.
Ich wünsche mir, dass wir als AWO Mitglieder einmal mehr dazu beitragen, dass das Leben nicht einem Einzelkäfig ähnelt sondern einem Park. Hier ist es weniger notwendig, große politische Debatten zu führen als vielmehr zu beginnen, die Handlungsmuster für den Umgang mit Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung zu überdenken.
Somit ist das Gegenteil von Sucht nicht Abstinenz sondern Bindung. Seit 100 Jahren singen wir Kampflieder gegen Süchtige – wenn wir ehrlich helfen wollen, müssen wir beginnen Liebeslieder zu singen.
Regulierung statt Repression - Positionspapier des AWO Bundesverbandeszur Abgabe von Cannabis